Neue Helden der Arbeit

Im meinem Alter fragt man sich natürlich: Wer arbeitet eigentlich noch für meine Rente? Bei den Bauwagen-Leuten ist da wenig Enthusiasmus zu spüren. Manchmal denke ich sogar, dass sie nicht mal im Sozialismus auf den Orden „Held der Arbeit“ erpicht wären. Ich wollte das als Generationenproblem abbuchen, keine Vorbilder, Anspruchsdenken der 68er und so, da fiel mir die TAZ in die Finger. Die TAZ hatte mit zwei Leuten aus der Internet-Branche gesprochen. Ich nehme es vorweg: Beide machen mir Hoffnung. Ich will sie euch vorstellen, damit ihr mal über euch nachdenkt, mit dem Originaltext, den Thomas sprechen wird. Der eine ist Jan Hülshoff.

„Vor einem Jahr war Jan Hülshoff noch ein unglücklicher Mensch.“

Heute geht es ihm besser. Er arbeitet

„öfter mal 18 Stunden am Tag“.

In seinem Büro liegt eine Matratze,

„damit er auch mal zwei oder drei Stunden Schlaf findet“.

Er

„verdient deutlich weniger als vorher“

und

„die Freundin ist weg“.

Das macht ihm gar nichts, sagt Jan, denn:

„Ich liebe mein Projekt,“

das er zärtlich

„mein Baby“

nennt. Jan’s Baby ist aber kein echtes, sondern virtuell, genauer: eine Comic-Figur,

„die mit einer Antenne am Eierkopf einem Alien ähnlich sieht“,

dem er aber das Laufen durch die virtuelle Welt beigebracht hat. Darauf ist er mächtig stolz, weil er als Mann alles im Griff hat: zeugen, gebären und erziehen. Dass sein Baby einem Alien ähnlich sieht, ist nicht wichtig. Es hätte auch ein Moorhuhn sein können, auf das alle so lange schießen, bis es tot ist. Dann macht er eben ein neues Baby. Tag und Nacht macht er das.

„Ich liebe die Abende, da kann man in Ruhe arbeiten.“

Arbeiten? Da geht Jan etwas zu hart mit sich ins Gericht. Was er tut, wird zwar in Geld verwandelt, und auch die Ränder unter den Augen,

„an denen man die Schaffenden der New Economy erkennt“,

zeugen von Arbeit. Aber eigentlich ist das keine Arbeit. Jan hat nicht aufgehört, zu spielen. Während man früher im Alter von 21 die Zeit hinter sich hatte, in der man sich mit Lego-Steinen beschäftigte, manche waren schon verheiratet und schlugen ihre Kinder, spielt Jan einfach weiter.

„Ich hänge an dem Projekt“,

sagt er, und zwar rund um die Uhr, was er als Kind nur zu Weihnachten durfte. Für Jan ist immer Weihnachten. Und so wie damals die ganze Welt um ihn und sein Spielzeug kreiste, niemand durfte ihm dabei in die Quere kommen, so hat ihn jetzt seine Freundin beim Spielen gestört.

„Ich hatte keine andere Wahl“,

sagt Jan,

„so ist das eben in der New Economy“.

Nicht nur dort. Auch Männer in der Old Economy kennen das Problem mit Frauen, die nicht verstehen wollen, dass er jedes Wochenende bei seinem Fussball-Verein sein muss. - Manchmal, wenn Jan mit Menschen zu tun bekommt, die nicht aus seiner Welt sind, entdeckt er in sich den Anflug eines inneren Schweinehundes.

„Freizeit, das ist ja eigentlich das Leben an sich,“

sagt er dann, ohne zu wissen, was das ist und was er, wenn er’s wüßte, damit soll. Wenn er diesen Anflug hat, möchte er plötzlich

„mal wissen, wie sich das anfühlt. Feierabend“.

Ja, wie fühlt sich Feierabend an? Feierabend fühlt sich an wie die unendliche Leere und wie Versagen. Deshalb möchte Jan zwar wissen, wie der sich anfühlt, doch erst

„irgendwann. Noch nicht jetzt.“

Das war bei Proleten in früheren Epochen anders. Die wollten immer nur Feierabend und Wochenende und kürzere Arbeitszeiten haben. Jan schimpft auf diese Prollis und ist weit entfernt von dem Gedanken, dass er ein Prolet ist, der nur um etliche Stunden länger ausgebeutet wird. – Wer nun annimmt, ein solches Leben sei nicht lustig, der irrt sich. Der Spaß kommt keineswegs zu kurz. In der Firma gibt es das sogenannte Single-Toto.

„Man wettet, welche Beziehung als nächstes draufgeht. Und irgendwen trifft es immer.“

Und deshalb hat man ganz oft ‚was zu lachen. Auch der Luxus kommt nicht zu kurz. Sein Chef überlegt nämlich,

„einen Menschen einzustellen, der als eine Art Best Boy sich um alltägliche Belange wie Einkäufe und Besorgungen für die Mitarbeiter kümmert – weil die nicht dazu kommen“.

Auch an eine Masseurin ist gedacht,

„die sich um die Rückenmuskulatur derer kümmert, die den ganzen Tag vorm Rechner hocken“.

Und als Entschädigung für alle Entbehrungen

„gibt es Süßigkeiten“,

soviel man will. Welches Kind hat das schon? Einen Butler, eine Masseurin und dazu noch einen bunten Teller, der das ganze Jahr voll ist. – Der Zweite, mit dem die TAZ gesprochen hat, ist Torsten Appel. Auch er hat sich vorgenommen, die protestantische Ethik zu beherzigen: also Arbeit nicht als den ersten Lebenszweck zu betrachten, sondern als den einzigen. Bei ihm hat sich ein gewisser Schlendrian eingeschlichen. Seine Woche hatte

„bisher 100 Stunden, aber jetzt bin ich schon auf 80 Stunden runter“,

gibt er zu. Trotzdem liegt er gut im Rennen. Sein Trumpf:

„Ich habe den Überblick über mein Privatleben komplett verloren. Ich kaufe mir keine Klamotten mehr, die private Post stapelt sich bei mir zu Hause ungeöffnet. Der Kühlschrank ist seit Wochen leer. Wenn ich nachts nach Hause komme, besteht meine Freizeit nur aus dem Weg zwischen Haustür und Bett.“

Zwischen Haustür und Bett liegen immerhin acht Schritte. Darüber lacht Jan nur, denn zwischen seinem Computer und der Matratze liegen nur drei Schritte. Beide sehen darin

„eine einmalige Chance, selbst was zu machen“.

Eine Chance, die früher niemand hatte. Deshalb kann Torsten sich kaputt lachen über das Denken von gestern mit Gewerkschaften und geregelten Arbeitszeiten. – Einmal stand seine Wohnung unter Wasser. Er musste wohl oder übel einen Handwerker rufen und der sagte zu ihm:

„Ich komme irgendwann zwischen 8 und 13 Uhr.“

Darüber schüttelt Torsten heute noch fassungslos den Kopf.

„Das verstehe ich nicht, so etwas macht mich kraftlos.“

Das ist gut zu verstehen, denn Torsten hat einen Traum:

„Einmal samstags morgens in Ruhe eine Zeitung lesen“,

und weil er vermutet, dass der Handwerker deshalb nur irgendwann vorbei kommen wollte, weil er sich Torstens Traum täglich erfüllt, ist er ganz kraftlos geworden. Doch nur vorübergehend. Er hat sich wieder aufgerappelt und ist

„zum Treffen der Online-Kapitäne“

gefahren. Da will er dabei sein, sagt Torsten, denn da

„kann man sich so herrlich über die Arbeit unterhalten“.

Da ist man unter sich. Da fragt niemand, ob es das alles wert ist: Ränder unter den Augen, der Verzicht auf ein Liebesleben oder die ständige Angeberei, man habe wirklich nie auch nur eine Minute Zeit für sich. Sicher, die Zeiten, in denen man etwas zählte, weil man für Revolution war oder zumindest so aussah wie Che Guevara, sind vorbei. Heute ist man ein Held, wenn man erzählen kann, wegen Überarbeitung bald das Zeitliche zu segnen.

„Eigentlich dürfte es das alles nicht wert sein, aber es gibt irgendwann kein Zurück“,

lügt Torsten. Denn er ist im Gegensatz zu Jan Hülshoff Inhaber der Firma. Weil es sich aber nicht so gut anhört, wenn man sagt: Ich bin geil auf Aktien, Immobilien und Bereicherung, spricht er wie jemand, der von Walhalla träumt. Ich bin als Held der Arbeit gestorben.

„Es ist ganz klar, dass wir diesen Job nur auf Zeit machen. Ich gehe nicht davon aus, dass irgendwer von uns die Rente erlebt.“

Richtig, Torsten, gib es diesen Memmen aus dem Zeitalter der Kommunen und Gewerkschaften, die noch nicht bereit waren, für die Arbeit drauf zu gehen wie Soldaten im Krieg. Gib es den heutigen Deserteuren der Arbeit und lass dich weiter in Firmenaktien auszahlen, die ihren Wert genauso schnell verloren haben wie du deinen als soziales Wesen.

Und sag‘ immer ‚wir‘. Darin gleichst du so herrlich dem alten Baulöwen, der auch sagt: Wir müssen den Auftrag noch erledigen, wenn er seine Leute meint, und der sagt: Wir müssen Geld verdienen, wenn er sich meint.

 

Ein Nachwort von Adorno: „Selbst wenn sie außerhalb des Betriebs als ganz humane und vernünftige Wesen sich erweisen, erstarren sie zur pathischen Dummheit in dem Augenblick, in dem sie von Berufs wegen denken.“