Meistersinger von Nürnberg

von Rainer Trampert

Ende Juli war es wieder soweit. Die deutsche Elite pilgerte wie jedes Jahr nach Bayreuth, um sich vor Richard Wagner, dem Meister der deutschen Leitkultur, zu verneigen. Es gab „Die Meistersinger von Nürnberg“. Alle waren wieder da. Angela Merkel im fliederfarbenen Knitter-Kostüm, die Genschers, Hermann Göring, Claudia Roth in puffrotem Federwerk, Stoiber’s Gattin trug Halskrause, Thomas Gottschalk goldene Schuhe, Roberto Blanco, Fürstin Gloria, Westerwelle, Goebbels ... Alle!

Katharina Wagner, die Urenkelin des Meisters, führte Regie. Man prustete vor Vergnügen, denn Richard Wagner war mit den Meistersingern

„ein Werk der Heiterkeit gelungen“,

steht im Vorwort zum Libretto. Kein Drachentöter, kein Walkürenritt, unser Genius war in die Jahre gekommen

„und am Geist einer ruhig lächelnden Resignation gesundet“,

und aus der Resignation schöpfte er die Lockerheit,

„seinem Wesen nun mit den Kräften des Humors zu begegnen“.

Bei Wagner hat aber alles Tiefgang. In den Meistersingern geht es um das deutsche Kultur-Erbe, das Schusterpoet Hans Sachs vor dem Kunstraub der Juden retten soll. Im Vertrauen: Mit Hans Sachs meinte er Wagner sich selber. Er hielt sich so sehr für Hans, dass er seine Briefe zeitweise mit Hans Sachs unterschrieb. Wagner wollte aber auch Nürnberg ein Denkmal setzen, weil die Bürger Nürnbergs sich 400 Jahre gegen die Ansiedlung von Juden gesperrt hatten. Deshalb weihten auch die Nazis Nürnberg mit Parteitagen und Rassengesetzen, und deshalb muss Wagner Hans Sachs singen:

„Wie friedsam treuer Sitten, liegt nicht in Deutschlands Mitten, mein liebes Nürnberg.“

Wo bleibt die Heiterkeit? Für den Spaß hatte Wagner sich eine komische Figur ausgedacht: den hinkenden Juden Sixtus Beckmesser. - Der Vorhang geht auf. Die Meistersinger sitzen zusammen. Schuster, Kürschner, Seifensieder, die sich der Wahrung des deutschen Liedes verschrieben haben. Goldschmied Pogner erhebt sich und singt, dass nur sie

„im weiten deutschen Reich einzig die Kunst noch pflegen, und mit hohem Mut schätzen, was schön und gut.“

Hans Sachs und die anderen Meister:

„Das heißt ein Wort! Ein Wort ein Mann! Da sieht man, was ein Nürnberger kann!“

Dann verkündet Pogner, dass seine Tochter Eva unter die Haube soll und sich ihren Gatten selber aussuchen darf. Er müsse nur deutsch sein und den Sänger-Wettstreit in Nürnberg gewinnen. Das grenzt ihre Auswahl zwar ein, auf Einen, aber Kultur soll sich ja in Vollendung fortpflanzen. Obwohl Eva eine ansprechende Jungfrau ist, sind in Nürnberg nur zwei Männer aufzutreiben, die sie begehren.

„Der stolze Ritter Walther von Stolzing“,

der noch kein Meistersinger ist, und Beckmesser, der schon Meistersinger ist, obwohl er nur komische Laute von sich geben darf, weil Wagner meinte, dass Juden sich nur verwirrt äußern könnten. Deshalb muss Beckmesser ständig unsinniges Zeug singen.

„Nun gilt es Kunst, daß mit Vergunst, ohn’ all schädlich gemeinen Dunst, glücke des Preises Gewunst, wer begehr mit wahrer Inbrunst, um die Jungfrau zu frein“.

Claudia Roth wälzt sich vor Vergnügen, aber Beckmesser will nicht nur Eva, sondern auch

„des Goldschmieds reiches Erbe“.

Wer hätte das gedacht – vom Juden. Der arische Ritter Walther macht nun seine Prüfung zum Meistersinger. Er singt über den Frühling. Wie klar und schön er das kann.

„So rief der Lenz in den Wald, dass laut es ihn durchhallt; und wie in fernen Wellen, von weither naht ein Schwellen, das mächtig näher zieht; es schwillt und schallt, es tönt der Wald. Das Blut, es wallt mit Allgewalt, geschwellt von neuem Gefühle.“

Jeder weiß, dass der Frühling eine abscheuliche Jahreszeit ist. Aber wann wurde das jemals poetisch besser geschwellt? Der Frühling ist eine Metapher für das heraufziehende Deutsche Reich. – Dann stellt Beckmesser sein Lied vor: ein Liebeslied für Eva. Alle lachen sich kringelig, weil er den Ton,

„den er immer zärtlich zu halten sich bemüht, kurz und heftig ausstößt, was das Komische seines Vortrages sehr vermehrte.“

Wie schön klingt da ein germanisches Liebes-Duett. Walther singt, mit zärtlichem Blick auf Eva:

„Mit allen Sinnen Euch zu gewinnen! Ist’s mit dem Schwert nicht, muss es gelingen, gilt es als Meister Euch zu ersingen. Für Euch Gut und Blut.“

Ergriffen von so viel Zärtlichkeit haucht Eva:

„Mein Herz, sel’ger Glut, für Euch liebesheil’ge Hut!“

Vollendete Poesie. Glut und Hut folgt auf Gut und Blut. Beckmesser singt draußen in der Gasse weiter. Plötzlich springt ein Schusterlehrling

„mit einem Knüppel bewaffnet aus dem Fenster und wirft sich auf Beckmesser. Der will fliehen. Er wird eingeholt, festgehalten und verprügelt.“

Die Szene wird ausgekostet,

„bald verschwinden sie, bald kommen sie wieder in den Vordergrund, immer Beckmesser auf der Flucht“

und der Lehrling immer wieder ihn

„einholend, festhaltend und prügelnd“.

Die Nachbarn kommen aus den Häusern und beginnen Dialoge, die in der Operngeschichte ihres Gleichen suchen. Erster Nachbar:

„Ei seht! Auch Ihr hier?“

Zweiter Nachbar:

„Was sucht Ihr hier?“

Erster:

„Geht’s Euch was an?“

Zweiter:

„Hat man Euch was getan?“

Erster:

„Euch kennt man gut!“

Zweiter:

„Euch noch viel besser!“

Erster:

„Wieso denn?“

Zweiter:

„Ei so!“

Er schlägt ihm ins Gesicht.

„Esel!“

Alle Nachbarn schlagen sich und singen dazu:

„Grobian!“

„Schlagt sie nieder! Immer ran!“

„Wacker zu! Immer drauf!“

„Haut die Racker“

„Maßabzwacker“

„Schlagt sie nieder!“

„Krach! Hagelwetterschlag!“

„Plautz, hast auf die Schnauz“

„Dort Metzger Klaus kenn ich heraus“

„Mein! Dort schlägt sich mein Mann!“

„Der Vater! Ach sie hau‘n ihn tot“.

Man könnte denken: Mit einem Stamm, der sich gegenseitig umbringen will, weil einer falsch gesungen hat, stimmt was nicht. Wagner will zeigen, was der Dämon anrichten kann.

Während die Deutschen sich gegenseitig schlagen,

„versucht Beckmesser, jämmerlich zerschlagen, durch die Menge zu flüchten. Ordnung kehrt ein als ein starker Hornruf des Nachtwächters ertönt. Das wirkt auf alle mit einem panischen Schrecken“

und sie verkrümeln sich. Die Deutschen können noch so wild sein, wenn der Nachtwächter kommt, herrscht Ordnung. Was wäre geschehen, wenn der Wächter, das Symbol des Staates, sie zum Pogrom ermuntert hätte? Soweit sind wir noch nicht, wird aber angekündigt. Wagner spricht von einem

„Weltenbrand, wenn gleiches Blut an der Fortpflanzung gehindert werde“.

Weil er überall Rassenvermischung entdeckt, brüllt Hans Sachs, alias Richard Wagner:

„Wahn! Wahn! Überall Wahn!“

und verkündet als Lösung:

„Nun muss es Prügel regnen, mit Hieben, Stoß und Dreschen den Weltenbrand zu löschen.“

Also: Nur das Pogrom kann den Brand löschen, meinte Wagner. Hier erleben wir, wie es im Vorwort heißt,

„den geheimen Zauber der Meistersinger-Dichtung.“ Beckmesser schleicht nun in die Werkstatt von Sachs und klaut Walthers Liebeslied für Eva. Kunst-Plünderung! Sachs erwischt den Dieb und sagt:

„Noch nie hab ich entwandt, was ich auf fremden Tischen fand,“

er erlaubt ihm aber, Walthers Lied beim Wettstreit zu singen. Sein perfider Plan: Stolzing und Beckmesser singen dasselbe Lied, und alle erkennen, dass nur der Deutsche singen kann. Der Wettstreit beginnt, so wie später die Reichsparteitage.

„Die Zünfte ordnen sich zum festlichen Aufzuge. Fahnenträger, die vor der Singerbühne Fahnen aufpflanzen. Lehrbuben feierlich in Reih und Glied.“

Ganz oben steht der Führer Sachs und alle singen

„Heil Sachs! Heil Nürnbergs teurem Sachs! Heil! Heil!“

Beckmesser soll nun singen. Verletzt von den Misshandlungen schreitet er unsicher

„auf den Rasenhügel und schwankt. Die Buben lachen. Das Volk stößt sich lustig an: Wie, der? Ach, der kann ja nicht mal steh’n. Gott, ist der dumm! Er fällt fast um!“

Er singt

„gänzlich behindert und mit wachsender Verwirrung“.

Das Volk fängt an zu pöbeln.

„Beklommenheit erfasst ihn. Er wackelt; ihm schwindelt, Angstschweiß bricht aus. Er stürzt fort.“

Er flüchtet. Das Volk gibt sich mit der Vertreibung nicht zufrieden und singt in dunkler Vorahnung:

„Bald hängt er am Galgen; man sieht ihn schon!“

Wieder könnte man denken: Was ist bloß mit einem Stamm los, der Jemanden, der Angst hat, ermorden will. Geht nicht anders, meinte Wagner, und sagte zu den Juden:

„Bedenkt, dass nur eines eure Erlösung von dem auf euch lastenden Fluche sein kann: Euer Untergang!“

Danach singt Walther. Klar, bei ihm

„leuchtet von Blüt‘ und Duft geschwellt die Luft“.

Walther kriegt Eva und Sachs sich vor Pathos nicht mehr ein.

„Habt acht! Zerfällt erst deutsches Volk und Reich, welschen Dunst und Tand sie pflanzen uns in deutsches Land. Was deutsch und echt, wüsst‘ keiner mehr, lebt’s nicht in deutscher Meister Ehr‘. Die heil’ge deutsche Kunst“.

Das Volk ruft Heil! Heil! Ende. Mit dieser Botschaft geht die deutsche Elite nach draußen, wo die Kameras warten. Claudia Roth und Thomas Gottschalk sagen, sie hätten selten so gelacht, Angela Merkel betont, sie sei vor Ergriffenheit noch ganz sprachlos, Joseph Goebbels meint:

„Die Meistersinger sind die Inkarnation unseres Deutschtums. Was der Jude ist, hat uns Wagner gelehrt. Hören wir auf ihn. Er sagt uns alles.“

Eliten kommen und gehen, doch eines bleibt: Sie pilgern jedes Jahr nach Bayreuth, um ihre Hochkultur zu feiern, und weil sie sich vor Lachen ausschütten können, wenn ein stigmatisierter Mensch über die Bühne geprügelt wird. Nur über die Bühne! Das unterscheidet sie vom Pack in den Straßen von Mügeln ..