Kann man mit der Marktwirtschaft die Umwelt retten?

Die Marktwirtschaft ist ein schäbiges und widerspenstiges System, weil sie das Leben und die Erde ruiniert und sich zugleich als Rettungsdienst anbietet. Sie muss ständig expandieren, Kapital anhäufen, Märkte ausdehnen, sich Rohstoffe, Böden und fremden Mehrwert aneignen, um Konkurrenzvorteile zu erzielen und die sinkende Profitrate auszugleichen; sie sorgt für Erderwärmung, Wirbelstürme und Überschwemmungen und nimmt dankend Anschlussaufträge entgegen. Die Marktwirtschaft wird Holland neue Deichsysteme, schwimmende Städte und Schiffe für den Nahverkehr anbieten (in der Recycling-Version: 20 Prozent Preisaufschlag) und 200 Millionen Menschen in Bangladesch dem Meer überlassen. Sorry! Keine Aufträge und ohne Moos nichts los.

Nach dem Marktgesetz ist alles Unproduktive dem Untergang geweiht. Marx sprach vom Zwang zur Kapitalvernichtung, Schumpeter von der „schöpferischen Zerstörung“, das „Handelsblatt“ stellt sachlich fest: „Der letzte Tag, an dem die Marktwirtschaft funktionierte, war der Tag, an dem Lehman pleiteging.“ Marktwirtschaft ist die Übertragung der darwinistischen Naturordnung „fressen und gefressen werden“ auf die menschliche Gesellschaft. Sie betreibt die permanente Selektion unter Staaten, Unternehmen und Individuen nach den Kriterien: „stark“ und „schwach“. Unternehmen ruinieren Konkurrenten, starke Staaten plündern schwache, unten regelt der Arbeitsmarkt, welches Individuum einen Preis erzielt und welches auf Halde kommt. Der Sieger benötigt keine Moral, der Verlierer ist dem Spott ausgesetzt – oben als Niete in Nadelstreifen, unten als Sozialschmarotzer.   

Dem Zwang zur Expansion gehorchend, antwortet das Marktsystem auf die Umweltschäden der einen Industriestufe mit dem Draufsatteln der nächsten. Die dritte („grüne“) industrielle Revolution ist ein Reflex auf die verzehrende Schadensdynamik (die Katastrophenschäden waren im ersten Halbjahr 2011 fünfmal so hoch wie im Durchschnitt der letzten zehn Jahre), die Antwort besteht in der Industrialisierung der letzten Freiflächen. Meere, Berge, Wälder, Äcker und Wüsten werden voll gepflastert mit industriellen Monokulturen, Stromtrassen, Solar- und Speicherfabriken, Windparks, die Unmengen von Beton und Energie verschlingen. Für Kabelstrecken, die Europa mit Wüstenstrom versorgen sollen, wird man in der halben Welt nach Kupfer baggern. Da kein Windrad, keine Photovoltaik, kein Hybrid-Antrieb, kein E-Mobil ohne seltene Erden auskommt und China Monopollieferant ist, werden Afrika, Osteuropa, Australien und Kanada umgegraben. Von der Umstellung auf sanfte Energie zu sprechen, ist ein plumper Werbetrick.

Kriege sind vorprogrammiert, zumal der „grüne“ Industrieschub zusammenfällt mit der Nach-Industrialisierung der halben Menschheit: China, Indien, Brasilien, Indonesien, Türkei. Heute kommen in den USA auf 1000 Einwohner 860 Pkw, in China 19. Für die Angleichung der Verkehrsdichte wird man tausend Stoffe aus der Erde holen und den Anbau von „grünen“ Treibstoff-Pflanzen forcieren, die überall auf der Welt Lebensmittel-Pflanzen verdrängen und für Hungerkatastrophen sorgen. Um klimabedingte Verwüstungen zu kompensieren, kaufen China, Indien, Saudi Arabien und andere Staaten in Afrika fruchtbare Böden auf Vorrat – vollkommen marktgerecht. Beim nächsten Krieg um Wasser oder Wüstenstrom wird Claudia Roth sagen, es gehe diesmal um die Rettung der Welt und den regelmäßigen Schulbesuch der Nomadenmädchen. 

Die „ökologische“ Marktwirtschaft ist genauso eine Lüge wie die „soziale“ Marktwirtschaft. Alle sozialen Abfederungen mussten dem Marktdarwinismus in Streiks, Aufständen und Revolutionen abgerungen werden. Nur für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall haben Metaller ein halbes Jahr gestreikt. Sobald die Kämpfe abflauen, holt das System sich zurück, was früher mühsam erkämpft wurde. Auch Umweltschutz muss dem System abgerungen werden. Der Staat nimmt bisweilen Rücksicht auf soziale Kämpfe. Der Atomausstieg gehört nicht dazu. Nachdem der grüne „Ausstieg“ noch Laufzeiten von 32 bis 40 Jahren garantierte, ohne rechtliche Verankerung, damit die nächsten acht Regierungen sie weiter verlängern könnten, bekam die CDU nach der Katastrophe in Japan Angst vor der Selbstzerstörung, außerdem erkannten die CDU und Siemens das Wachstumspotenzial der neuen Industrialisierung.  

Eine sanfte Produktionsstruktur und solidarische Arbeits- und Lebensverhältnisse, die arme Länder entwickeln, statt sie zu berauben, ist nur als Bruch mit dem Marktdarwinismus denkbar, also nur in einer von Grund auf demokratisch (genauer: rätedemokratisch) verfassten Planwirtschaft mit Wahl- und Abwahlrecht.

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