Der Iran-Deal und die Zukunft Israels – Der Nahe Osten nach dem Alleingang der USA

Wie ein Springteufel auf Knopfdruck federt Trump aus der Kiste – und schon haben Politiker und Kommentatoren die Welt erklärt. Kündigt der Ajatollah die Vernichtung Israels an, rufen sie: „Trump legt Feuer“, „Trump gefährdet die Welt“, „Trump bedroht den Weltfrieden“. Was hat der Iran eigentlich vor Trumps Ausstieg aus dem Nuklearabkommen am 8. Mai 2018 gemacht?

Er hat sich im Nahen Osten mit Milizen, Koranschulen und Polizeistationen ausgebreitet, Teile Syriens und des Irak besetzt, Terrorgruppen im Libanon, in Gaza, im Jemen, in Bahrein und in Afghanistan aufgerüstet, unterirdische Raketenfabriken und Trägerraketen gebaut, mit seinen Revolutionsgarden, mit Hamas und Hisbollah einen Militärgürtel um Israel gelegt, islamische Länder aufgerufen, Israel „bis zu seinem Untergang“ zu bekämpfen (Ali Khamenei, April 2018) und „auf einen Vorwand (gewartet), um den Konflikt mit Israel zu schüren, bis zu einer militärischen Konfrontation“ („FAZ“).

     Diese Eskalation hat mit der Kündigung des Atomabkommens durch den US-Präsidenten nicht das Geringste zu tun. Die Kommentatoren übertreffen Trump sogar in der Charakterisierung des Iran als Ungeheuer, das, sobald man ihm das Futter entzieht, Feuer spucken und apokalyptische Zerstörungen anrichten werde. Sie reagieren hysterisch, weil sie wissen, dass die religiösen Führer fanatisch genug sind, für Allahs Wohlgefallen den eigenen Untergang, der bei einem großen Krieg um den Nahen Osten einzukalkulieren wäre, in Kauf zu nehmen.

     Uneins ist man in der Frage, ob der Iran durch Zuwendungen milde gestimmt werden sollte oder ob seine Aggressionen eher durch Härte einzudämmen sind. Der Iran verflucht Trump, weil die Sanktionen ihm die Mittel entziehen, die er für die Verfolgung seiner Ziele benötigt. Europa verflucht ihn, weil er „das zarte Pflänzchen der Wirtschaftsbeziehungen mit dem Iran zertritt“ (DIHT). Die deutsche Wirtschaft hatte sehr gehofft, dass die Exportraten „durch die Decke gehen, wenn sie ohne Beschränkungen mit Iran Handel treiben“ dürfe, schrieb die „Zeit“ Mitte Juli 2015. Von Frieden war nicht die Rede.

     In der Nacht zum 10. Mai war es dann soweit. Die iranische Quds-Brigade feuerte Raketen auf Israel ab. Israel sah eine Rote Linie überschritten und demolierte iranische Militäreinrichtungen in Syrien. Dass der Konflikt begrenzt blieb, lag an dem beeindruckenden Vergeltungsschlag und an Russland, das „sich den Israelis wieder nicht in den Weg gestellt hat“ („FAZ“). Russland will - wie der Iran - das Assad-Regime halten, hat aber kein Interesse an einem iranischen Großreich und will sich als eine über den Dingen stehende Ordnungskraft präsentieren.

     Deshalb pflegt Russland gute Beziehungen zu allen, wirft für Assad Bomben, baut im Iran Kernkraftwerke, liefert Luftabwehrraketen an die Türkei, entwickelt mit israelischer Lizenz Drohnen und lädt Israel ein, Mitglied in Moskaus Eurasischer Freihandelszone zu werden. Netanjahu war der einzige „westliche“ Staatsmann, der in Moskau die Militärparade zum Tag des Sieges über Deutschland abnahm. Die zugesagte Lieferung des Luftabwehrsystems S-300 an Syrien-Iran wurde storniert, weil Russland nicht das Image einer iranischen Brigade bekommen will und Israels Verteidigungsminister angedroht hatte, auch russische Waffensysteme zu zerstören, wenn sie gegen Israel zum Einsatz kämen.   

   

Der beste und der schlechteste Deal    

 

Deutschland, Frankreich und Großbritannien halten das Nuklearabkommen für eine diplomatische Glanzleistung, die USA, Israel und Saudi-Arabien für den schlechtesten Deal aller Zeiten. Leben sie auf verschiedenen Planeten? Nein, nur in verschiedenen Bedrohungslagen und in wachsender Konkurrenz, seit die USA die Auflösung des westlichen Bündnissystems zu Gunsten nationaler Konkurrenzen („bilaterale Deals“) vorantreibt. Dass der Iran den Nahen Osten destabilisiert und den „Weltfrieden“ bedroht, täte nichts zur Sache, heißt es, weil beides nicht Gegenstand des Nuklearabkommens sei. Eben doch! Das Abkommen regelt nicht nur die Begrenzung der Urananreicherung, sondern auch die Streichung der Sanktionen, die dem Iran freien Zugang zu rund 100 Milliarden Dollar, die auf Auslandskonten eingefroren waren, verschaffte und ihm zur Verdoppelung seiner Ölverkäufe verhalf.  

     Wenn also die im Atom-Deal vereinbarte Befreiung von Sanktionen dem Iran jenen Geldsegen brachte, der ihm half, sich „zur führenden Macht im Mittleren Osten aufzuschwingen“ und „eine existentielle Gefahr für Israel“ („FAZ“) zu werden, in Russland T-90 Panzer, Artilleriesysteme und Flugzeuge zu kaufen, in Syrien 80.000 Gardisten in Marsch zu setzen und die Hisbollah mit 120.000 Raketen auszurüsten, wäre der Deal keine Friedenstat, sondern ein Beitrag zur Eskalation der regionalen Konflikte und zur Destabilisierung des Nahen Ostens. Dass der Iran trotz der Gelder wirtschaftlich nicht auf die Beine kommt, liegt an den inneren Aufständen und seinen kostspieligen Aufrüstungen und Kriegen.    

    Das Atomabkommen gestattet dem Iran den Bau ballistischer Raketen, eine begrenzte Urananreicherung, die Nuklearforschung sowie die Verschiffung seiner Uranvorräte nach Russland, wo sie nach Belieben angereichert werden können. Die Kontrollen wurden von Anfang an unterlaufen. „Eine Woche vor dem Abschluss ... hat das iranische Parlament ein Gesetz verabschiedet, das der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) Inspektionen von Militäranlagen verbietet“, meldete der „Kurier“ Ende Juni 2015. Die Inspektion sei nur „ein Traum“, höhnte Teheran, stimmte aber zu, dass sie bei ihm beantragt werden dürfe. Kurz: Die Inspekteure haben da, wo sie suchen durften, nichts gefunden.

     Dem zeitlich begrenzten Abkommen zufolge darf der Iran alle Nuklearanlagen ab 2025 wieder hochfahren. Bis dahin wird geforscht, werden Trägerraketen und Abschussrampen gebaut, wird die Urananreicherung im In- und Ausland und die Verdichtung der militärischen Front zu Israel vorangetrieben. Trump habe den Iran noch zu einer Verlängerung des Abkommens bewegen wollen, schreibt die New York Times, doch der habe die Begrenzung der Produktion von atomarem Brennstoff über 2025 hinaus abgelehnt. Außerdem hatte Trump auf die atomare Eskalationsspirale im Nahen Osten hingewiesen. Saudi-Arabien (Irans Huthi-Milizen schießen von Jemen aus auf Riad) hatte angekündigt, sich mithilfe Pakistans atomar zu bewaffnen, falls es nicht zu Korrekturen des Abkommens käme. Ägypten, Katar, die Türkei könnten folgen.  

     Außenminister Heiko Maas (SPD) tat seine Überzeugung kund, dass die Welt durch das Abkommen „ein Stück sicherer geworden“ sei. Wo lebt der Mann? Da wird aus vollen Rohren geschossen! Dagegen nimmt Angela Merkel die Welt so wahr, wie sie ist. Sie wolle jetzt mit dem Iran über die „begrenzte Laufzeit“, seine Raketen und seinen destabilisierenden Einfluss „bis in den Jemen“ reden. Das Abkommen habe „natürlich keinen Frieden gebracht“.

 

Sanktionen, Handel und europäisches Dilemma

 

Den Vereinigten Staaten geht es bei der Wiedereinführung der „Sanktionen in voller Härte“ darum, die Expansion und die Aufrüstung des Iran und den atomaren Aufgalopp im Nahen und Mittleren Osten zu stoppen (als erstes wurde die  Dollarfinanzierung für die Revolutionsgarden durch Schließung arabischer „Wechselstuben“ gekappt) und gleichzeitig die europäische Konkurrenz zu schwächen. Die Sanktionen treffen hauptsächlich europäische Unternehmen. Als Deutschland, Großbritannien und Frankreich noch beteuerten, am Atomabkommen festhalten zu wollen, packten die Firmen, getrieben von der Sorge, „durch ihren Handel mit Iran das US-Geschäft zu verlieren“ (DIHK), bereits die Koffer. Wer will von Exporten in die USA, vom amerikanischen Kapitalmarkt und von dem in Dollar abgewickelten Welthandel abgeschnitten sein?

    BASF verzichtet auf den Bau einer großen Chemiefabrik, Airbus auf den Verkauf von Flugzeugen an den Iran, in denen „US-Teile verbaut sind“. 10.000 deutsche Firmen und Banken sind in den Iranhandel verstrickt. Die Aufgabe der Geschäfte ist für die deutsche Wirtschaft ärgerlich, aber nicht weltbewegend. Deutsche Lieferungen in den Iran stiegen in den vergangenen zwei Jahren zwar um 42 Prozent, kamen dadurch aber gerade mal auf drei Milliarden Euro. In die USA lieferte Deutschland 2017 Güter für 111 Milliarden. Und in den USA, Kanada und Mexiko stehen viele deutsche Fabriken, die für den amerikanischen Markt produzieren, im Iran steht nichts. Etwas härter sind französische Konzerne wie Total oder Renault betroffen, die im Iran investiert haben.

     Die schärfere Gangart der USA hat Europa aus dem Schlaf gerissen. Der französische Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire schimpft: „Wollen wir die Vasallen der Vereinigten Staaten sein?“ Natürlich nicht.

    Europa könnte den USA die Stirn bieten, wenn es als Nation handelte. Tatsächlich zerfällt die EU aber in diverse konkurrierende Nationen, die ihrerseits wieder in regionale und heimatbündlerische Gruppen und Parteien zerfallen.

Emmanuel Macron bemüht sich wie der Rufer in der Wüste um ein mächtigeres europäisches Zentrum, scheitert aber an den nationalen Interessen, an antieuropäischen Ressentiments bei Linken und Rechten sowie am „Export- und Sparfetischismus“ der Deutschen. Der deutsche Industrieverband BDI verlangt Sofortmaßnahmen der EU, „die europäische Unternehmen vor US-Sanktionen schützen“. Daraus wird nichts, sagt Wirtschaftsminister Peter Altmaier: „Wir haben keine Möglichkeit, deutsche Unternehmen gegen Entscheidungen der amerikanischen Regierung zu schützen.“ Das europäische Kapital wird auf absehbare Zeit damit leben müssen, dass es über keinen Staat verfügt, der seine Investitionen und Geschäfte sichern kann.

     Das ist besonders schmerzlich in Zeiten, in denen der Westen auseinanderbricht, die USA ihren Partnern die Sicherheitsgarantien entziehen und zum national orientierten Imperialismus früherer Epochen zurückkehren. Europa droht zum Spielball großer und kleiner Mächte zu werden. Der neue US-Botschafter in Berlin, Richard Grenell, fordert deutsche Firmen auf, ihre Geschäfte im Iran „sofort runterzufahren“. Der Iran verlangt von der EU Schadensersatz für alle Nachteile, die ihm durch die Sanktionen der USA entstehen. Sonst „werden wir in vier Tagen die Zentrifugen anwerfen“. Die USA geben Europa 180 Tage für die Abwicklung der Geschäftsbeziehungen, der Iran gewährt nur eine Frist von 45 bis 60 Tagen.

     Die USA versprechen sich von der Renationalisierung Mehreinnahmen, sie gehen aber das Risiko ein, die EU und asiatische Verbündete der schnell wachsenden Weltmacht China in die Arme zu treiben. Die EU wandert bereits gen Osten, weil im Westen die Produktionsketten an protektionistischen Barrieren zu reißen drohen und in Asien die Musik spielt. Da warten zwei Milliarden Menschen auf ihr erstes Auto, da dehnt China seine Seidenstraßen-Kooperation mit 68 Staaten aus (gerade wurde die Eisenbahnverbindung China-Iran fertig). Japan und Südkorea, denen die USA den Freihandel aufkündigten, verhandeln über eine engere Zusammenarbeit mit China. Altmaier verhandelt mit Russland und der Ukraine über eine gemeinsame Energieversorgung der EU. Gegen die Interessen der USA, die ihren Gasüberschuss in die EU liefern und deshalb die zweite Ostseepipeline verhindern wollen. Die USA werden Strafen verhängen, können aber nicht die ganze Welt bestrafen, ohne sich zu schaden.  

    Verständlich ist die Orientierung der USA auf sunnitische Staaten. Der schiitische Iran vergeudet seine potentielle Innovationskraft durch Hass und Krieg. Dagegen geht die junge Führung Saudi-Arabiens unter dem atomaren Schutzschirm der USA kleine Schritte in die Moderne. Geplant ist der weltgrößte Industriekomplex für die Zeit nach dem Öl, Frauen dürfen Auto fahren und Kronprinz Mohammed Bin Salman gönnt Juden ein friedvolles Leben in einem eigenen Land - wie großzügig! Auch andere arabische Staaten erkennen Israel inzwischen an. Sie sollten unbedingt die gefälschten Protokolle der Weisen von Zion durch wissensvermittelnde Schulbücher austauschen. Abzuwarten ist, was bei den Verhandlungen mit Nordkorea herauskommt. Nordkorea bietet im Gegensatz zum Iran einen lukrativen Deal an: „Verschrottung aller Atomanlagen gegen wirtschaftlichen Aufbau des Landes“. Für die USA, die bereits Investitionen angekündigt haben, und Südkorea könnte das angesichts Millionen dressierter Menschen profitabel werden.

 

Linke Heuchelei   

 

In der Bundestagsdebatte Ende April zum 70. Geburtstag Israels hätte die Bedrohungslage im Nahen Osten kritisch reflektiert werden können. Aber alle Parteien, die sich irgendwie zu den Linken zählen, zogen es vor, sich für Antisemiten wählbar zu machen. Für Andrea Nahles (SPD) ist „die friedliche Beilegung des Konflikts“ wegen der israelischen Siedlungen „schwer vorstellbar“. Sie bedient sich der traditionellen Täter-Opfer-Umkehr, die für jede Rakete, die auf Israel abgeschossen wird, Israel selbst verantwortlich macht. Die Grüne Göring-Eckardt dichtete: „Wir sehen die Bauhaussiedlung und die Hedonisten am Strand von Tel Aviv“ und „wir sehen die Brutalität der Besatzung“. Warum nicht auch die Kreuzigung des Heilands? Dietmar Bartsch mochte gar nicht mehr aufhören, Juden zu geißeln. Er kritisierte, dass Israel „Empathie und Mitgefühl“ fehle, er kritisierte „natürlich“ die „Siedlungspolitik“ und die „Beschränkungen der NGO“, und er wünschte sich „natürlich“, dass auch in Israel endlich die Demokratie „gestärkt und ausgebaut wird“, und dass Israel „natürlich“ das „Völkerrecht akzeptiert“, und alles andere als die Zwei-Staaten-Lösung „wäre fatal“.

     Man muss nicht alle Unverschämtheiten besprechen. Aber Israel an seinem Geburtstag die Demokratie nahezulegen, ohne zu erwähnen, dass sie die einzige im Bereich von Marokko bis Afghanistan ist, gehört zu den dummfrechsten Belehrungen des moskautreuen Kaders. Linke kleben an der Freundschaft zu Palästinensern, egal, wohin die Hamas sie führt. Ihr Argwohn gegen Juden enthält nicht nur antisemitische, sondern auch antimodernistische Elemente. Der Palästinenser, der als israelischer Ingenieur High-Tech-Anlagen in Indien installiert, passt nicht zu ihrer BDS-Kampagne (Kauft nicht bei Juden). Ebensowenig die 25.000 Palästinenser, die in Siedlungsgebieten in israelischen Firmen arbeiten. Die Palästinensische Autonomiebehörde ermittelte 2014, dass „ihre“ Leute die Arbeit in israelischen Firmen der Arbeit bei Palästinensern vorzögen. Nicht nur wegen höherer Löhne, Krankenversicherung, Gewerkschaften und Rechtssicherheit, sondern besonders „wegen des guten Umgangs israelischer Arbeitgeber“ mit Palästinensern.

     Wenn man sich erlaubt, die Gebietsansprüche und den völkischen Krimskrams durch humanitäre, soziale, demokratische und emanzipatorische Kriterien zu ersetzen (also durch linke Inhalte), müssten die von Israel kontrollierten und von Israelis besiedelten Gebiete nicht „besetzte Gebiete“, sondern „befreite Gebiete“ heißen. Befreit von der klerikalen Diktatur, von der Verhüllung der Frau, von der Zwangsehe, vom Richterspruch des Patriarchen, von der Hinrichtung von Schwulen durch die eigenen Brüder. „Ein Mädchen aus einer palästinensischen Familie in Hebron hat in Israel Schutz vor Zwangsehe und Gewalt gefunden. Ihr Vater hatte sie für umgerechnet 2.400 Euro an einen Beduinen verkauft“ (Israelnetz.com).

    Auch die Perspektive einer Zwei-Staaten-Lösung, hinter der Linke sich verstecken, weil sie nach Frieden und Völkerrecht klingt, ignoriert linke Inhalte. Die Zwei-Staaten-Lösung schafft keinen Frieden, vielmehr wäre ein gesicherter Frieden die Voraussetzung für zwei Staaten. Heute wäre ein Palästinenserstaat nur das nächste Aufmarschgebiet des Iran oder des IS, also ein Konstrukt zur Förderung des Krieges. Die Linke hat zu erklären, warum sie der Hamas und dem Palästinenserführer Abbas, der den Holocaust als gerechte Strafe für den jüdischen Geldverleih betrachtet, einen eigenen Staat anvertrauen will.

 

Erschien in „Konkret“ 6/2018