Das fiktive Interview (fett gedruckte Passagen sind Originalzitate)

Von Rainer Trampert

Ich werde jetzt einen sozial engagierten Wutbürger interviewen und erst am Schluss des Interviews sagen, wer die Antworten, die hier im Original zitiert werden, gegeben hat. --- Herr Wutbürger, wenn ich Sie richtig verstanden habe, mögen sie einige Dinge nicht. Sie mögen keinen Neoliberalismus, keine Globalisierung, keine Amerikaner und keine Flüchtlinge.  

„Es befinden sich 60 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht – auf Dauer können nicht alle nach Nord- oder Zentraleuropa kommen.“

Wollen die auch nicht. Vielleicht eine Million oder zwei. In Europa wohnen 500 Millionen Menschen. Da sind eine Millionen Flüchtlinge 0,2 Prozent der Einwohner. 1910 war im Ruhrgebiet 20 Prozent der Einwohner Polen. 1945 kamen 13 Millionen aus dem Osten. Es ist doch erstaunlich, dass sich heute bei so wenigen Flüchtlingen alle möglichen Leute überfordert fühlen, besonders die, die noch nie einem Flüchtling begegnet sind?

„Ich denke nicht, dass wir einen unlimitierten Flüchtlingszustrom auf Dauer ertragen.“

Sie nicht, aber ...

„Wir haben es mit einem enormen Staatsversagen auf EU-Ebene und auf Deutschland-Ebene zu tun und das rächt sich bitter. Im Übrigen möchte ich, dass Kinderärzte, Ingenieure und Architekten möglichst in ihren Ländern bleiben.“

Dann könnten Maurer, Elektriker, Klempner, Soldaten,  Zahntechniker, Lehrer, Schleuser, Hilfsarbeiter und Dachdecker also in unbegrenzter Zahl kommen?  

„Da wir eine multifaktorale Situation haben, brauchen wir auch eine multifaktorale Antwort ... Es geht nicht, wenn wir sagen: es gibt nun eine vollkommene Grenzenlosigkeit für alle.“

Sagen wir, wie es ist: Ihre nationalfaktorale Meinung lautet doch, dass die Flüchtlinge bleiben sollen, wo sie sind. Ihre Begründung: Den Deutschen fehle so viel, dass man sich nicht auch noch um Flüchtlinge kümmern könne.

„In Hannover fehlten – bevor der Flüchtlingsstrom, die Völkerwanderung oder wie auch immer man das nennen mag – begannen, 21.000 Sozialwohnungen.“

Schon damals fehlten in Hannover so viele Sozialwohnungen? Sie wollen also die Grenzen schließen und Sozialwohnungen für Deutsche bauen, aber finanziert werden sollen die Wohnungen – das ist etwas überraschend – von den Amerikanern!  

„Man muss die amerikanische Regierung zur Kasse bitten, das ist dann eine Geldquelle, mit der man in Deutschland auch Sozialwohnungen bauen könnte ... Nicht Libyen bombardieren und uns dann wundern, dass die Menschen hier her kommen. Kein Mensch hat den USA gesagt, dass sie Gaddafi wegbomben sollen.

Sie meinen, es kämen Libyer, die sich als Syrer ausgeben? Lassen wir das. Zurück zu ihrem Finanzierungsvorschlag. Da Tripolis vor allem nicht von den Amerikanern bombardiert wurde, sondern von Franzosen und Briten, könnte man nicht sagen: Frankreich soll den deutschen Straßenbau übernehmen, die Briten die Energiewende und die Russen, die ihre Bomben über Syrien abwerfen, den Berliner Flughafen. Das wärs doch. Ganz gleich, wer was bezahlt, sie haben ein Herz für Gaddafi und das Soziale, nicht wahr?  

„Gaddafi, der hatte den Staat ... irgendwo noch im Griff und jeden dritten Dollar, den er eingenommen hat, hat er in den Sozialstaat gesteckt. Aber nein, es musste erstmal bombardiert werden.“

Mit der Sehnsucht nach einem Führer, der die Nation fest im Griff hat, stehen Sie nicht allein da. Leider hat Gaddafi nur jeden dritten Dollar in den Sozialstaat gesteckt, weil sein Hofstaat, seine Armee, sein Privatbordell, die Gefängnisse und die Flüchtlingslager in der Wüste, die er damals auf Wunsch von Otto Schily gebaut hatte, so teuer waren. Dann ließ Gaddafi über 2.000 Häftlinge umbringen und auf die demonstrierenden Verwandten schießen. Ein Massaker nach dem anderen. Aber was tut man nicht alles für den Sozialstaat?   

„Die EU hat nicht die staatliche Seele, also diese Sozialstaatlichkeit etc.“

Mein Interviewpartner hat eine ausgeprägte soziale Ader, man könnte auch sagen: Er hat immer ein offenes Ohr für die kleinen Leute. Besonders für die, die Asylunterkünfte in Brand setzen.

Wenn sich die kleinen Leute Sorgen machen, oder wenn Balgereien entstehen mit Flüchtlingen um eine Winterjacke oder um die Sozialwohnung, auf die der ein oder andere schon ganz lange wartet, dann muss man da ein offenes Ohr für haben. Da einfach drüber Hinwegstolzieren und sagen, das sind alles Rassisten, ist ganz falsch.“

Was sind die denn sonst? Wenn kleine Leute Naziparolen rufen und Flüchtlinge aus Bussen zerren und jede Nacht Asylunterkünfte in Brand setzen, wenn wir also die Vorstufe von Pogromen erleben, dann sind das für Sie Balgereien – wie wenn Kinder übermütig spielen? Diesen Leuten fehlen Empathie und Verstand, aber keine Winterjacken.

 Die Antworten sind von Diether Dehm, der europapolitische Sprecher der Bundestagsfraktion der Linkspartei. Er war früher Schlagersänger. Leider hat er diesen schönen Beruf aufgegeben und ist in die Politik gegangen. Er gehört in der Linkspartei zum linksradikalen Flügel, der die Spezialität hat, sehr national zu sein und einem Querfront-Bündnis mit Faschisten nahezustehen. Wenn Linke anfangen, die soziale Frage national zu definieren und Mordanschläge auf Flüchtlinge als Balgereien zu beschönigen, dann ist tatsächlich links gleich rechts.

 Wenden wir uns jetzt dem Original zu:

„Thüringer! Deutsche! 3000 Jahre Europa! 1000 Jahre Deutschland!"

So begrüßt Björn Höcke von der AfD-Thüringen seine Anhänger. Er kann nicht gut reden, aber er bemüht sich, so zu wirken wie Nazi-Redner damals, als Deutsche Gebrüll noch für eine gute Rede hielten, und er will irgendwie das 1.000-jährige Reich unterbringen. Höcke lamentiert über

„die deutsche Volksgesundheit“

er pocht 

„auf germanische Wurzeln“

und unterscheidet nach mehreren Lehrgängen „Rassenkunde“

„den europäischen Platzhaltertyp“,

der sich nicht so vermehrt, wie Höcke das möchte,  

„und den afrikanischen Ausbreitungstyp",

der sich ganz gut vermehren soll. Höcke denkt immer wieder nur an das eine:

„An die Vergewaltigung der blonden Frau“

und auch

„an die Angstträume der blonden Frauen"

Brünette, Schwarz- und Rothaarige sind ihm egal. Blond soll sie sein. Das wurde in der Rassenkunde so vermittelt. Höcke sagt:

„Das drängendste Problem unserer Zeit ist, dass Deutschland, dass Europa ihre Männlichkeit verloren haben. Nur wenn wir unsere Männlichkeit wieder entdecken, werden wir mannhaft.“

Die doppelte Vermannung weist auf Defizite hin. Die AfD spricht auch von

„einer Opferung der Deutschen auf dem Altar von Multikulti“,

eine Umschreibung der „Rassenschande“. Besonders weit in der Erforschung der stockenden Vermehrung ist die AfD Baden-Württemberg.

„Jungs gehen hier in Kindergärten und Schulen, die auf Mädchen zugeschnitten sind, und erfahren eine strukurelle Benachteiligung“.

Aber die AfD werde darauf achten,

„dass jedes Kind sein biologisches Geschlecht annimmt und in Familien wieder starke Männer einziehen“.

Zum Krieger ist der Ehemann geboren. Damit die Vermehrung klappt, macht die AfD endlich Schluss

„mit der volkserzieherischen Überhöhung von nicht heterosexuellen Menschen“

und wird Schwule und Lesben in Umerziehungslager stecken! Auch der Chef vom Philologenverband Sachsen-Anhalt denkt immer an das eine. Er fragt in seiner Fachzeitung:

„Wie können wir unsere Mädchen ab 12 so aufklären, dass sie sich nicht auf ein oberflächliches sexuelles Abenteuer mit sicher oft attraktiven muslimischen Männern einlassen?“

Unser Mädchen und der böse Moslem! Gerade der Pädagoge hatte wissen können, dass unsere Kriminalpolizei bei Sexualdelikten aus Erfahrung immer zuerst unter deutschen Lehrern, deutschen Familienvätern und deutschen Onkeln ermittelt. - Als eine Zuhörerin bei einer AfD-Veranstaltung nach den vielen von AfD-Kadern vorgetragenen Vergewaltigungsphantasien nicht mehr allein nach Hause wollte, weil sie Angst vor einem Überfall hatte, forderte der AfD-Spitzenkandidat in Baden-Württemberg:

„Wir müssen uns zu jeder Tages- und Nachtzeit sicher bewegen können.“

Das erinnert mich an meine Kindheit. So um 1950 erzählte mir mal ein Kriegsversehrter mit Granatsplittern im Kopf, aber ohne Beine, der auf Lederstumpen hinter einem Pappkarton kauerte und Streichhölzer verkaufte, bei „Adolf“ (er sprach über Hitler, als wäre er ein Verwandter), bei „Adolf“ habe man sich noch ohne Angst auf die Straße getraut. - Wir sehen: Der fremde Mann veranlasst ohne sein Zutun deutsche Männer, einen Blick auf sich zu werfen. Und da entdecken sie, schrieb Adorno:

„Unter der bekannten Geschichte Europas läuft eine unterirdische. Sie besteht im Schicksal der durch die Zivilisation verdrängten und entstellten menschlichen Instinkte und Leidenschaften ... Von der Verstümmelung betroffen ist vor allem das Verhältnis zum Körper“

Der AfD-Mann projiziert Vitalitätsphänomene auf Fremde und macht sich dadurch noch kleiner als er sowieso schon ist. Hilfe! Die blonde Frau will einen Syrer! Tod den Fremden! Ich bin das Volk! Du sollst keine anderen Völker haben neben mir! Und so kommt es, dass Frau Petry und Frau von Storch an der Grenze auf Frauen, Männer und Kinder schießen wollen und Herr Gauland sagt:

„Wir müssen lernen, grausame Bilder auszuhalten“

Alles, was sie sagen, klingt eiskalt, empathielos, tödlich. Die Suche nach der Philosophie des Todes führt uns zu Marc Jongen, ein hohes Tier in der AfD Baden-Württemberg, der früher Assistent von Peter Sloterdijk war. Jongen plagt

„ein permanenter Albtraum, seit Merkel die Grenzen geöffnet hat. Ich wache auf und denke: Schon wieder neue Flüchtlinge.“

Bedauerlicherweise ging Jongen mit seinem Leiden nicht in Therapie, sondern wie Diether Dehm in die Politik.

„Unsere Vorfahren haben ihr Territorium verteidigt und die AfD wird so handeln wie unsere Vorfahren.“

Unsere Vorfahren haben ihr Territorium nicht verteidigt, sondern Russland und Norwegen, Griechenland, Nordafrika und Frankreich überfallen, haben Juden vernichtet und andere Gruppen verfolgt, versklavt, gefoltert und ermordet. Sowas nennt der Philosoph: Volksverteidigung. Sein Vorbild Sloterdijk mag Heidegger,

„der die Epochenfrage stellte: Was zähmt noch den Menschen, wenn der Humanismus als Schule der Menschenzähmung scheitert?“

Für Heidegger war es der Nationalsozialismus! Er ging in die NSDAP, kaufte sich eine Trachtenjacke und eine Anstecknadel mit einem Hakenkreuz. Sloterdijk nicht, aber er weissagte schon weit vor Björn Höcke den Untergang des Abendlandes,

„weil in Bevölkerungen mit starken Jungmänneranteilen der Bellizismus wächst, indessen überalterte Völker zum Pazifismus neigen“.

Die Botschaft wurde von Höcke verstanden: Fremde Männer löschen uns aus! Und so sagt Sloterdijk:

„Vor uns liegt ein Weltalter, in dem der Unterschied zwischen Siegern und Verlierern wieder mit antiker Härte und vorchristlicher Unbarmherzigkeit an den Tag tritt".

So raunt – erregt von der Selektion und dem ganzen Brimborium - der Philosoph, während der Engstirnige Fremde als kosmische Bedrohung wahrnimmt und von Politikern verlangt, sie endlich zu vertreiben. Sonst wittert er Lüge und Verrat und ruft sich selbst zum Volk aus. Und dann brennen die Unterkünfte und der linke Politiker sagt: „Guckt mal, wie die Kinder balgen“ und der Philosoph singt dazu, gemeinsam mit der Meute das Menschenopfer umkreisend, den Bocksgesang.