Mobbing-Seminar

von Rainer Trampert

Guten Abend meine sehr verehrten Damen und Herren. Ich begrüße Sie ganz herzlich zu unserem gemeinsamen Mobbing-Seminar und freue mich über das rege Interesse. Ich will gleich zum Thema kommen: Was auf neudeutsch Mobbing heißt, ist ja ein altes, vertrautes Phänomen. Ein Herbstblatt fliegt in den Garten des Nachbarn. Der fühlt sich bedroht, zielt mit dem Wasserschlauch auf die Gattin des Verursachers, mauert dessen Garage zu, hetzt den Hund auf die Kinder und der Spaß will kein Ende nehmen. Der Volksmund sagt: „Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.“ Friedrich Schiller, Wilhelm Tell.

Die Sozialforschung hat nun herausgefunden: Mobbing ist die mit Abstand beliebteste Kommunikationsform unter Menschen. Das mag logisch sein. Die Evolution schreitet voran durch die Selektion von Siegern und Verlierern und die Marktwirtschaft verhält sich da völlig im Einklang mit der Natur: Konkurrenz belebt das Geschäft. Verlierer werden als Nieten in Nadelstreifen oder, wenn sie arbeitslos sind, als faule Subjekte verhöhnt, sie bleiben aber am Leben. Das ist das Wesen der Zivilisation, sagt der Philosoph Peter Sloterdijk, denn im Römischen Zirkus zeigte der Daumen noch nach unten. Sie werden fragen: Warum soll unser gemeinsamer Wertekanon ausgerechnet aus den Betrieben herausgehalten werden? Das wird uns Hans-Jürgen Kratz, den ich hiermit herzlich begrüße, gleich erläutern. Herr Kratz ist ein gefragter Experte und Autor des Buches „Mobbing“, aus dem er jetzt dankenswerter Weise nur im Original zitieren wird. Also: Alles was er spricht sind Originalzitate aus diesem hilfreichen Buch. Herr Kratz, in ihrem Buch geht es um

„eine Fülle von Strategievorschlägen zu diesem heiklen Thema für die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite“.

Es bietet also praktische Hilfe an, die wir später in einem Workshop üben wollen. Ich will zunächst die Kernfrage vertiefen. Herr Kratz, warum soll diese beliebte Interaktion im Berufsleben nicht ausgeübt werden?

„Das subtile Hauen und Stechen bindet Energien und es kommt mehr denn je auf Mitarbeiter an, die für eine bestmögliche Aufgabenerledigung sorgen.“

Mobbing hat also zwei Seiten. Es ist beliebt, aber leider auch ein Konflikt und

„Konflikte sind Störungen. Sie unterbrechen den Arbeitsablauf und wir können in einer Konfliktsituation nicht entspannt und heiter sein."

Das kennen wir. Wenn der Arbeitsablauf unterbrochen wird, verliert die Arbeit die ihr innewohnende Heiterkeit. Aber wann sprechen wir nun im engeren Sinne von Mobbing?

“Wenn ein bislang beliebter Kollege plötzlich gegen bis dato nicht vorhandene unsichtbare Wände läuft.“

Mobbing kommt also aus heiterem Himmel. Das macht es so kompliziert. Wie beginnt so etwas?

„Es werden dem Gemobbten kleine Streiche gespielt. Die Türklinke wird mit Schuhcreme eingeschmiert …“

Erinnert irgendwie an die Feuerzangenbowle, nicht wahr.

„ … das Werkzeug ist plötzlich verschwunden. Wichtige Dateien wurden gelöscht. Man macht sich über eine Behinderung oder über die Nationalität lustig. Dann kommen Intrigen, Telefonterror, Drohungen.“

Manchmal kann es im Arbeitsleben ganz schön zur Sache gehen. Herr Kratz, was kennzeichnet den typischen Mobber?

„Mobber zeigen ein hohes Maß an Kreativität, wenn es darum geht, einen anderen Menschen zu quälen. Das Durchschnittsalter liegt bei 40 Jahren.“

Interessant! Vor allem solche Menschen, die es schon zu etwas gebracht haben, ergötzen sich an den Qualen der Schwächeren. Nach Sloterdijk eine logische Handlung. Der Sieger fordert das Blut des Unterlegenen, die Zivilisation verwehrt es ihm, bietet ihm dafür aber gepflegte Spielformen an. Auf eines müssen wir aber achten: Nicht alles ist gleich Mobbing.

„Mit Stresssituationen müssen wir wohl oder übel leben, denn wo gehobelt wird, fallen Späne.“

Da sind wir beim ersten Problem. Viele Menschen sind dem Lebensprinzip ‚wo gehobelt wird, fallen Späne‘ heute nicht mehr gewachsen. Anspruchs-Denken. Herr Kratz, könnte man sagen: Mobbing-Opfer sind genetisch oder von Haus aus weniger stressresistent?

„Nach aller Erfahrung kann unterstellt werden, daß leistungsschwächere, pessimistische, sensible Mitarbeiter zu den Opfern zählen. Sie sind leicht verletzbar und haben eine geringe Frustrationstoleranz. Sie können aber auch abeichende Auffassungen haben.“

Die können nichts ab, ecken an und verbreiten eine pessimistische Stimmung. Wir kennen das. Ein Pessimist in der Runde und die Fröhlichkeit ist dahin. Bekommt der Kollege dafür die Quittung,

„versucht er, durch häufiges Fehlen allem Unerfreulichen aus dem Weg zu gehen. Der gemeinsame Erfolg ist gefährdet.“

Sie werden fragen: Warum werden solche Leute nicht einfach ‚rausgeworfen? Das ist gar nicht so einfach, denn

„25 Prozent aller Berufstätigen fühlen sich durch Intrigen beeinträchtigt.“

Das sind zu viele. Die Wirtschaft wäre lahm gelegt. Da ist also pädagogisches Geschick gefragt. Wie können wir den Konflikt lösen, ohne Zeit zu verlieren? Nehmen wir an: Sie sind Chef und der Gemobbte kommt zu ihnen, um sich zu beschweren. Worauf achten Sie?

„Der feuersprühende Mitarbeiter ist zu Beginn für sachliche Argumente nicht aufnahmefähig.“

Der ist nicht gut drauf. Unterlassen Sie also

„Bemerkungen, mit denen Sie Öl ins Feuer gießen“.

Statt dessen

„veranlassen Sie den Mitarbeiter zum Sitzen. Denken wir daran, dass Sitzen keine Kampfhaltung ist.“

So! Er sitzt!

„Wenn er sich ausgetobt hat, beginnt das Sachgespäch.“

Dabei beachten Sie zwei Regeln: Sie heben Ihre Kompetenz hervor und lassen ihn nicht mehr zu Wort kommen. Sonst sprudelt der ohne Ende. Wie kann ein solcher Monolog, der beides berücksichtigt, ablaufen? Herr Kratz hat da eine neue Methode entwickelt. Sie zitieren pausenlos wichtige Leute.

„Würden Verhaltensregeln beherzigt, die bereits der Philosoph Kant empfahl, wäre eine Konfliktbewältigung nicht schwierig.“

Sie haben angedeutet, dass Ihnen die Lösung nicht schwer fällt, und dass Sie Kant kennen. Das hebt Ihre Kompetenz.

„Bereits Buddha erkannte: Der einzige Sieg ist der, in dem alle siegreich sind.“

Auch der Täter. Statt Buddha können Sie auch den Dalai Lama nehmen.

„Viele Konflikte ließen sich auflösen, wenn die von Augustinus beschriebene Haltung vorhanden wäre: Keiner sage, er habe die Wahrheit schon gefunden.“

Sehr gut. Sie haben klar gemacht, dass nichts von dem, was Ihnen erzählt wird, wahr sein muss, und Augustinus erzielt immer eine große Wirkung, weil ihn keiner kennt.

„Friedrich von Schiller: 'Das Übel, das uns trifft, ist selten oder nie so schlimm, als das, welches wir befürchten."

Pädagogik in Vollendung. Würden Sie sagen: ‚Alles halb so schlimm‘, wirkt das zu konfrontativ. Stattdessen legen Sie ihm mit Schiller seinen Hang zur Übertreibung nahe.

„Gerade in schwierigen Lebenssituationen brauchen Sie die Kraft des positiven Denkens. Marc Aurel schrieb: 'Das Leben ist das, was die Gedanken aus ihm machen."

Hier kann der Hinweis sinnvoll sein: Das hat früher schon seinen Sklaven sehr geholfen.

„Hiob erkannte: 'Herr, was ich befürchtet habe, ist über mich gekommen. Martin Luther ...“

Danke, Herr Kratz. Ich glaube, das genügt. Der Mitarbeiter wird verstanden haben, dass er nicht in die Welt passt. Kommen Sie jetzt zur Sache. Sagen Sie:

„Es hilft dem Geschäft nicht, wenn Mitarbeiter einander die Köpfe einschlagen.“

Zitieren sie dazu wieder ... Irgendeinen.

„Churchill?"

Wenn er was Passendes gesagt hat.

„Churchill brachte diese Erkenntnis auf eine einfache Formel: Es ist immerhin noch besser, BLA-BLA-BLA als BUMM-BUMM-BUMM zu machen!"

Jetzt kommt die Lösung: Kündigung oder letzter Versuch. Wollen Sie ihm noch eine Chance geben, muss er sich wieder anpassen. Sagen Sie deshalb unmissverständlich

„Passe dich an und tanze nicht aus der Reihe, sonst bist du ein Fremdkörper! Beachte die Gruppennormen! Die Form der täglichen Begrüßung, der gemeinsame Gang zum Mittagessen, alle stillschweigenden Übereinkünfte!“

Das ist eine wichtige Hilfe, denn wir wissen, dass Außenseiter es schwer haben. Alle tanzen den Ententanz, nur ich nicht. Was bin ich? Ein Spielverderber. Alle stehen hinter der National-Mannschaft, nur ich nicht. Dann gnade mir Gott. Alle helfen der Bundswehr, Sandsäcke voll zu machen, nur ich nicht. Dann: Ab ins Ausland. Alle schießen auf den Feind, nur ich nicht. Das kann schlimme Folgen haben. Wo die Italiener standen, brachen die Fronten ein und der Russe … Entschuldigung ... Wir haben zwei Lernziele. Das Erste: Beachte die kollektivpsychotische Regel:

„Man möchte sich nach den eigenen Bedürfnissen verhalten, beugt sich aber den Gruppennormen.“

Das Zweite: Akzeptiere die natürliche Hackordnung. Das wird Herr Kratz uns jetzt wissenschaftlich erläutern.

„Vor 100 Jahren beobachtete ein Zoologe, daß es auf dem Hühnerhof keineswegs chaotisch zugeht. Er notierte Hacklisten und stellte fest, daß eine strenge Staffelung eingehalten wird. Ein Huhn, das Alpha-Huhn, darf alle Hühner ungestraft hacken. Das nächsthöhere Huhn wird nur vom Alpha-Huhn gehackt, darf aber alle anderen Artgenossen hacken. So geht die Rangfolge weiter bis zum Omega-Huhn, das von allen Hühnern gehackt werden, selbst aber sich in keinem Fall zur Wehr setzen darf. Auch in menschlichen Gruppen bildet sich diese Hackordnung sehr schnell aus.“

Verblüffend, was wir von der Natur lernen können. Im Paarungsverhalten von den Graugänsen, im Sozialverhalten vom Hühnerhof. Das Mobbing-Opfer ist das Omega-Huhn, ohne das unser soziales Gefüge im Chaos enden würde. Mobbing ist also nur dann ein Störfaktor, wenn das Opfer negativ denkt. Sie sehen, wie wichtig positives Denken ist. Sie müssen dem Huhn nur noch erklären, dass es für das Funktionieren einer Gemeinschaft genauso wichtig ist wie Sie als Chef. Diese Wertschätzung wird ihm helfen, seine Rolle positiv zu interpretieren.

So, wir haben, glaube ich, ein ganz schönes Pensum bewältigt. Ich bedanke mich bei allen und erteile Herrn Kratz das Schlusswort.

„Beteiligen Sie sich nicht an politischen Diskussionen. Schon Heriklat erkannte: ‚Der Streit ist der Vater aller Dinge‘. “

Ein sehr nachdenkliches Wort, das wir einfach so stehen lassen sollten. Mir bleibt nur noch eine Ankündigung: Es ist mir gelungen, für das nächste Seminar als Experten Herrn Sloterdijk zu gewinnen. Unser Thema: ‘Heidegger’s Schatten und das Da-sein als Hineingehaltensein in das Nichts’. Es geht also um die spannende Frage: Woran erkenne ich, welches Huhn ich bin?