AfD: Die rasende Regression

- Deutsche Volksgesundheit, entstellte Leidenschaften und brauner Bodensatz - die AfD schickt sich an, die Moderne zu zerstören - In der Geschichte ist nie etwas genau so wie damals. »Thüringer! Deutsche! 3000 Jahre Europa! 1000 Jahre Deutschland!« Björn Höcke (AfD) kann nicht gut reden, aber er bemüht sich, so zu wirken wie Nazi-Redner damals, als Deutsche noch Gebrüll für eine gute Rede hielten, und er will das Tausendjährige Reich unterbringen ... Zu den geistigen Vätern zählt Peter Sloterdijk.  Der Philosoph singt, das Menschenopfer gemeinsam mit der Meute umkreisend, den Bocksgesang.

Björn Höcke lamentiert über die »deutsche Volksgesundheit«, pocht auf »germanische Wurzeln«, unter- scheidet den »europäischen Platz- haltertyp«, der sich nicht so recht vermehrt, und den »afrikanischen Aus- breitungstyp», denkt immer an die »Vergewaltigung der blonden Frau« und an die »Angstträume der blon- den Frauen« und kommt auf »das drängendste Problem« zu sprechen, »dass Deutschland, dass Europa ihre Männlichkeit verloren haben. Nur wenn wir unsere Männlichkeit wieder entdecken, werden wir mann- haft.« Die doppelte Vermannung weist auf Defizite hin. Die AfD in Baden-Württemberg glaubt die Ursache der Potenzschwäche erkannt zu ha- ben: Jungs gehen dort in Kindergär- ten und Schulen, die »auf Mädchen zugeschnitten sind ...« und erfahren »eine strukurelle Benachteiligung«. Die AfD werde aber darauf achten, dass jedes Kind »sein biologisches Geschlecht« annimmt und in Familien wieder »starke Männer« einziehen. Schluss mit der »volkserzieherischen Überhöhung von nicht heterosexuel- len Menschen«. Will die AfD Schwule und Lesben in Umerziehungslager stecken?

     »Es kommen vor allem junge muslimische Männer,« zittert Andreas Kalbitz (AfD), und »es dauert 60 Minuten, bis die Polizei zu einem kommt. Was macht man da, wenn die Frau gerade vergewaltigt wird.« Eingreifen, du Trottel! Als eine Zuhörerin »aus Angst vor Vergewaltigung« nicht mehr allein nach Hause will, verspricht Jörg Meuthen, AfD-Spitzenkandidat in Baden-Württemberg: »Wir müssen uns zu jeder Tages- und Nachtzeit sicher bewegen können.« In meiner Kindheit (in den 50er Jahren) erzählte mir mal ein »Kriegsversehrter« – ohne Beine und mit einem Granatsplitter im Kopf – , der auf Lederstumpen hinter einem Pappkarton kauerte und Streichhölzer verkaufte, bei »Adolf« habe man sich noch ohne Angst auf die Straße getraut. Der Chef vom Philologenverband Sachsen-Anhalt fragt in seiner Fachzeitung: »Wie können wir unsere Mädchen ab Zwölf so auf- klären, dass sie sich nicht auf ein ober- flächliches sexuelles Abenteuer mit sicher oft attraktiven muslimischen Männern einlassen?« Na, na! Die Kriminalpolizei ermittelt bei Sexualdelikten aus Erfahrung zuerst unter deutschen Lehrern, Familienvätern und Onkeln.

      Der Fremde veranlasst ohne sein Zutun deutsche Männer, auf sich zu blicken, und da entdecken sie: »Unter der bekannten Geschichte Europas läuft eine unterirdische. Sie besteht im Schicksal der durch die Zivilisation verdrängten und entstell- ten menschlichen Instinkte und Leidenschaften ... Von der Verstümmelung betroffen ist vor allem das Verhältnis zum Körper« (Adorno). Der AfD-Mann projiziert Vitalitätsphänomene auf Fremde und macht sich dadurch noch kleiner, als er sowieso ist. Hilfe! Die blonde Frau, die ich begehre, will einen Syrer! Tod den Fremden! Ich bin das Volk! Du sollst keine anderen Völker haben neben mir! Daher beschwört die AfD die »Opferung der Deutschen auf dem Al- tar von Multikulti«, eine Umschrei- bung der »Rassenschande«. Im Übrigen finden AfD-Anhänger, dass der Nationalsozialismus gute Seiten hatte, dass es »wertvolles und unwertes Leben« gäbe und die »Heimat« vor »kulturfremden Menschen« sauber zu halten sei.

     Durch den phantasierten Opfermythos fühlt der Rechte sich legiti- miert, Fremde zu vertreiben und zu töten. »Stets hat der blind Mordlustige im Opfer den Verfolger gesehen, von dem er verzweifelt sich zur Not wehr treiben ließ« (Adorno). »Auf uns wird scharf geschossen«, klagt Beatrix von Storch, um sogleich zu fordern, dass die Bundespolizei an der Grenze auf Frauen und Kinder schießen soll. Auch Frauke Petry will »notfalls von der Schusswaffe Gebrauch machen«. Für Tatjana Festerling vom Pegida-Bündnis sind Flüchtlinge ohnehin »skrupellose Invasoren«. Alles, was diese Leute sagen, klingt eiskalt, empathielos, tödlich.

    Die Suche nach der »Philosophie« dieser Leute führt uns zu Marc Jongen, einem hohen Tier bei der AfD Baden-Württemberg, der früher Assistent von Peter Sloterdijk war. Jongen plagt »ein permanenter Albtraum, seit Merkel die Grenzen geöffnet hat«. Leider ging er nicht in Therapie, sondern in die Politik. »Unsere Vorfahren haben ihr Territorium verteidigt«, sagt er, und die AfD werde »handeln wie unsere Vorfahren«. Zur Erinnerung: Die Vorfahren haben ihr Territorium in Russland und Norwegen, Griechenland, Nordafrika und an der Atlantikküste »verteidigt«, haben Juden vernichtet und andere Menschengruppen verfolgt, versklavt, gefoltert und ermordet. Erst in Stalingrad hatte die Vorsehung ein Einsehen und verwandelte »Herrenmenschen« in Kannibalen.

    Sloterdijk gehört (wie Thilo Sarrazin) zu den geistigen Vätern des rechten Spuks. Er mag Heidegger, weil der die Epochenfrage artikuliert habe: »Was zähmt noch den Menschen, wenn der Humanismus als Schule der Menschenzähmung schei- tert?« Für Heidegger war es der Nationalsozialismus! Sloterdijk weissagte vor Höcke den Untergang des Abendlandes, weil »in Bevölkerun- gen mit starken Jungmänneranteilen« der »Bellizismus« wachse, »in- dessen überalterte Völker zum Pazi- fismus neigen«. Er raunte: »Vor uns liegt ein Weltalter, in dem der Unterschied zwischen Siegern und Verlierern« wieder mit »antiker Härte und vorchristlicher Unbarmherzigkeit an den Tag tritt«.

    Der Philosoph singt, das Menschenopfer gemeinsam mit der Meute umkreisend, den Bocksgesang.

    Wir erleben eine rasende Regression (Reaktivierung entwicklungsgeschichtlich älterer Verhaltensweisen bei Abbau oder Verlust des höheren Niveaus). Die Krise hatte in Europa eine Welle der Renationalisierung in Gang gesetzt. Heute ziehen die EU- Staaten wieder Zäune zum Nachbarn hoch und das engstirnige Bewusst- sein nimmt Fremde als kosmische Bedrohung wahr und verlangt von Politikern, sie zu vertreiben. Sonst wittert es Verrat und ruft sich zum »Volk« aus. Alles rennet, rettet, flüchtet, und mittendrin steht wie ein Fels in der Brandung Angela Merkel und sagt: »Wenn ein großer Kontinent mit 500 Millionen Einwohnern einer Million Syrer Schutz gewährt, ist das nicht zu viel verlangt!« Natürlich nicht. Selbst fünf Millionen Einwanderer wären nur ein Prozent. Dass Merkel wegen humanistischer »Entgleisung« angegriffen wird, zeugt von einem rapiden Verfall der Sitten.

    Dem ZDF-Politbarometer (Februar 2016) zufolge sprechen sich 58 Prozent der Deutschen (jeweils die Hälfte bei der SPD, der Union und der Linkspartei) für nationale Grenzkontrollen aus, »auch wenn dadurch das Reisen und der Güterverkehr erschwert wird«. Das ist eine dramatische Loslösung der Gesinnung vom materiellen Wohl. Die Stimmung wird im regressiven Sinn antikapitalistisch: antimodern und dumm. Dagegen stehen die vier großen Kapitalverbände Deutschlands »geschlossen hinter der Kanzlerin«. Sie widersetze sich dem Populismus und ringe »um eine europäische Lösung«. Nach einer Prog- nos-Studie würde die EU durch Grenzkontrollen in zehn Jahren 470 Milliarden bis 1400 Milliarden Euro verlieren. Durch offene Grenzen konnte das Kapital die Lagerhaltung auf Schienen und Straßen übertragen (Just-in-time). Das funktioniert aber nur, wenn die Züge und Lastwagen Rohstoffe und alles andere pünktlich anliefern. Werden sie aufgehalten, steigen die Produktionskosten und Europa fiele gegenüber den USA und Asien um Jahrzehnte zurück. Hinzu kommt, dass der deutschen Wirt- schaft in 15 Jahren 7,5 Millionen Ar- beitskräfte fehlen werden. Überhaupt: Was wäre Deutschland ohne seine Einwanderungswellen? Ödland!

    Die Rechten sind dabei, europaweit die Moderne zu zerstören, und können auf wachsende Unterstützung hoffen. Die Hälfte der Bevölkerung nimmt den wirtschaftlichen Niedergang in Kauf, wenn nur kein Flüchtling kommt. Das Fernsehen präsentiert uns übergeschnappte Pegida-Gestalten als »besorgte Bürger«, und Diether Dehm von der Linkspartei sagt: Wenn sich die »kleinen Leute Sorgen machen oder Balgereien entstehen ... mit Flüchtlingen um eine Winterjacke ..., dann muss man da ein offenes Ohr für haben. Da einfach drüber hinwegstolzieren und sagen, das sind alles Rassisten ..., ist ganz falsch.« Was sind die denn sonst? Wer sich von Höcke begeistern lässt, dem fehlen Empathie und Verstand, aber keine Winterjacken. Wenn Asylunterkünfte brennen, Kinder aus Bussen gezerrt werden, jeder Vierte im Land auf Frauen und Kinder schießen möchte, und Gauland (AfD) dafür plädiert, »grausame Bilder auszuhalten«, erleben wir just die Vorstufe von Pogromen. Wenn Linke anfangen, Mordanschläge auf Flüchtlinge als »Balgereien« zu beschönigen, wie wenn Kinder spielen, dann ist links tatsächlich gleich rechts geworden. In Querfronten trägt sich die Linke zu Grabe. Forsa-Chef Güllner mahnt korrekt. Es sei richtig, »die AfD anzugreifen und auszugrenzen«, denn sie »und ihre Anhänger sind un- belehrbar«. Die AfD speise »sich aus einem braunen Bodensatz, der immer da ist. Deshalb sollte man auch nicht den Fehler begehen und sie hofieren.«

 

Veröffentlicht: Neues Deutschland, 12.13. März 2016